Spannen und Lösen

Dieses wunderbare Gedicht von Christian Morgenstern lässt sich nicht sprechen, aber darstellen!

Man kann damit das Prinzip Spannen und Lösen verdeutlichen. Morgenstern verwendet für betonte und unbetonte Silben Zeichen aus der Metrik (Verslehre).

Am besten lässt sich der Wechsel von Spannen und Lösen durch die Lippenspannung verdeutlichen. Bei betonten Silben – dem Strich – sind die Lippen gespannt (ungefähr wie bei einem scharfen, stimmlosen „F“.) Unbetonte Silben werden durch den liegenden Halbmond gekennzeichnet und stehen für „Lösen“.

 

Beim Lösen lässt die Lippenspannung komplett nach. Das heißt, die Atemluft ergänzt sich mühelos.

 

In der Stimmbildung nennt man das auch „Atemrhythmisch angepasste Phonation“.

Horst Coblenzer und Franz Muhar beschreiben das ausführlich in ihrem Buch: Atem und Stimme: „(...) Weil das Zentralnervensystem die Fähigkeit zu integrativen Leistungen besitzt, dürfen wir annehmen, dass schon mit der Sprechabsicht die Impulse im Kehlkopf, in den Atemmuskeln, im Bereich des supraglottischen Raumes und in allen anderen Systemen gleichzeitig einsetzen.“ Und jetzt kommt meine Lieblingsaussage von Coblenzer/Muhar: „Die synchrone Funktion der Teilsysteme ist für die Stimmleistung entscheidend. Ihr Zusammenspiel gelingt am besten im Rhythmus, der alle biologischen Vorgänge durch den Wechsel von Arbeits-und Erholungsphasen bestimmt.“ Damit ist in zwei Sätzen beschrieben, worum es im Sprechtraining geht: Teilsysteme der Sprechfunktion bewusstmachen und den Wechsel von Spannen und Lösen beim Sprechen selbst nachvollziehen!